Wortbildung

1.  In der ersten Lektion ist bereits darauf hingewiesen worden, dass die Wörter in Ido nach dem Grundsatz der größten Internationalität aus den europäischen Sprachen ausgewählt worden sind. Dieser Grundsatz ist in folgender Weise durchgeführt worden:

Die verschiedenen Sprachen haben für die einzelnen Begriffe meistens verschiedene Wörter. Von diesen wird für Ido dasjenige gewählt, das in der Welt schon am meisten bekannt und verbreitet ist.

I.  Lampe heißt in den Hauptkultursprachen:
Deutsch:  Lampe
Englisch:  lamp
Französisch:  lampe
Italienisch:  lampada
Russisch:  lampa
Spanisch:  lámpara

Es ergibt sich also notwendigerweise für Ido der Stamm lamp.


II.  Pferd heißt in den verschiedenen Sprachen:
D(eutsch):  Pferd
E(nglisch):  horse
F(ranzösisch):  cheval
I(talienisch):  cavallo
R(ussisch):  loschütj
S(panisch):  caballo

In allen diesen Sprachen finden sich aber Ableitungen von dem Stamm kaval :

D:  Kavallerie. Kavallerist
E:  cavalry  –  Reiterei
F:  cavalerie  –  Kavallerie, cavalier  –  Kavallerist
I:  cavalleria  –  Kavallerie, cavalcatore  –  Reiter
R:  kavalerija  –  Kavallerie
S:  caballeria  –  Kavallerie, cabalgada  –  Kavalkade


Also ist als Ido-Wort der Stamm kaval gewählt worden.

III.  Finger heißt:

D:  Finger
E:  finger
F:  doigt
I:  dito
R:  paliz
S:  dedo

Deutsch und Englisch stimmen überein, daher liefern sie den Ido-Stamm fingr.

IV.  Handschuh heißt:

D:  Handschuh
E:  glove
F:  gant
I:  guanto
R:  pertschatka
S:  guante

Als Ido-Wort ist der am meisten verbreitete Stamm angenommen, also gant.

V.  Kleie heißt:

D:  Kleie
E:  bran
F:  son
I:  crusa
R:  otrubi
S:  salvado

Da jede Sprache ein anderes Wort hat, ist der englische Stamm bran als der verbreitetste und lautlich am besten geeignete gewählt worden.

VI.  Wange heißt:

D:  Wange
E:  cheek
F:  joue
I:  guancia
R:  schtschteka
S:  mejilla

Auch hier ist kein internationaler Stamm vorhanden; der deutsche Stamm vang entspricht am meisten unseren Anforderungen und ist deshalb gewählt worden.

2.  Die Ido-Wörter bestehen aus Stamm (radiko), Endung (dezinenco) und gegebenenfalls Ableitungssilben (afixi).  Die radiki  teilt man ein in:

  1.  verbale,  die eine Handlung, einen Zustand oder eine Beziehung ausdrücken,
  2.  nominale,  und zwar
    1.  substantivische,  die einen Gegenstand,
    2.  adjektivische,  die eine Eigenschaft bezeichnen.

In den Wörterbüchern sind die verbalen Wurzeln leicht daran zu erkennen, dass durch die Endung -ar Zeitwörter von ihnen gebildet werden können: laborar  –  arbeiten, dormar  –  schlafen, esperar  –  hoffen.

3.  Die grammatischen Endungen (-ar, -o, -a, -e) haben keinen Einfluss auf die Bedeutung des Stammes;  dieser kann nur durch Anwendung von Ableitungssilben oder durch Wort­zusammen­setzungen geändert werden.

4.  Das unmittelbar von einer verbalen Wurzel abgeleitete Substantiv bezeichnet die Handlung oder den Zustand, der durch dieses Verbum ausgedrückt wird: laboro  –  Arbeit, dormo  –  Schlaf, espero  –  Hoffnung (vgl. 10. Lektion).  Von einem Substantiv kann man ein Verbum nur dann direkt ableiten, wenn das Substantiv einen Zustand oder eine Handlung bezeichnet. Von domo  –  Haus kann ein Verbum domar  nicht abgeleitet werden, weil es keinen Sinn hätte. Ebensowenig kann man von salo  –  Salz ein Verbum salar  –  bilden; das deutsche »salzen« heißt sal-izar  (vgl. 14. Lektion).

5.  Das mit der Endung -a unmittelbar von einem Substantiv abgeleitete Adjektiv bedeutet: »was ... ist«: oro  –  Gold: ora vazo; nobelo  –  Adliger: nobela viro; dezerto  –  dezerta loko.  Unmittelbar abgeleitete Adjektive sind verhältnismäßig selten; in der Regel wird eine Nachsilbe eingefügt werden müssen (siehe Absatz  8. e weiter unten).

6.  Das mit der Endung -o unmittelbar von einem Adjektiv abgeleitete Substantiv bedeutet: »was diese Eigenschaft hat«, also in der Regel eine Person: blinda  –  blind: blindo  –  ein Blinder, und zwar blindulo oder blindino ; bela  –  schön: belo, belulo, belino. Zuweilen bezeichnet jedoch das unmittelbar abgeleitete Hauptwort auch eine Sache: ornivo  –  Schmuck, nutrivo  – Nahrungsmittel.

7.  Ein Verbum kann von einem Adjektiv nur dann unmittelbar abgeleitet werden, wenn dessen Stamm verbale Bedeutung hat. Von sana  –  gesund kann man kein Zeitwort sanar  bilden, sondern nur (mit Hilfe von Affixen): san-esar  –  gesund sein, san-igar  –  gesund machen, heilen, usw.

8.  Sämtliche Vor- und Nachsilben sind in den einzelnen Lektionen bereits besprochen worden; wir stellen sie im Folgenden nochmals zusammen. Ihre Einprägung ist sehr wichtig, denn sie ermöglicht es uns, treffende Wörter selbst zu bilden, statt solche zu lernen.


Vorsilben (prefixi)

arki-:
bo-:
des-:
dis-:
ex-:
gala-:
ge-:
mi-:
mis-:
ne-:
par-:
para-:
pre-:
retro-:
ri-:
sen-:
hoher Grad oder Titel: arki-episkopo  –  Erzbischof;
Verwandtschaft durch Heirat: bo-frato  –  Schwager;
Bezeichnung des Gegenteils: des-agreabla  –  unangenehm;
Trennung, Verteilung: dis-donar  –  verteilen;
ehemalige Eigenschaft (Ex-): ex-oficiro  –  Exoffizier;
Festlichkeit in Anlass, Kleidung, Essen: gala-dineo  –  Festessen;
Zusammenfassung von Personen beider Geschlechter: ge-avi  –  Großeltern;
halb, zur Hälfte: mi-horo  –  Halbstunde;
Unrichtigkeit, Verkehrtheit (miss-): mis-komprenar  –  missverstehen;
Verneinung einer Eigenschaft (un-): ne-utila  –  unnütz;
Abschluss, Vollständigkeit: par-manjar  –  aufessen;
Schutz, Schirm vor: para-pluvo  –  Regenschirm;
vor-: pre-rango  –  Vorrang; pre-dicar  –  voraussagen;
Rückwärtsbewegung: retro-venar  –  zurückkommen;
Wiederholung: ri-venar  –  wiederkommen  (noch einmal kommen);
Mangel einer Sache (-los): sen-arma  –  unbewaffnet, waffenlos.

Nachsilben (sufixi)

a)  ohne Veränderung der Wortart:

-ach: Verschlechterung, Herabsetzung: popul-acho  –  Pöbel,  brav-acha   –  großtuerisch,  rid-achar  –  grinsen;
-ad: Dauer oder Wiederholung: dorm-adar  –  anhaltend schlafen,  serch-adar  –  stöbern;
-aj: Konkrete Sache, oder Handlungsweise, die zu dem Sinn der Wurzel in Beziehung steht: lan-ajo  –  Wollware;
-an: Mitglied, Angehöriger: senat-ano  –  Senator, skol-ano  –  Schüler;
-aro: Vereinigung einer Anzahl Dinge (-schaft): hom-aro  –  Menschheit, skol-an-aro  –  Schülerschaft;
-atr: -ähnlich, -artig: verd-atra  –  grünlich, dolc-atra  –  süßlich;
-ed: gewisse Menge in: glas-ed-o  –  ein Glas voll, vetur-edo  –  Fuhre, Fuder;
-eg: Vergrößerung, Vermehrung: vent-ego  –  Sturmwind, varm-ega  –  heiß, kur-egar  –  rennen;
-esk: etwas zu tun beginnen: konoc-eskar  –  kennen lernen, dorm-eskar  –  einschlafen;
-estr: Vorsteher, Leiter: urb-estro  –  Bürgermeister, skol-estro  –  Schulleiter;
-et: Verkleinerung: mont-eto  –  Hügel, bel-eta  –  hübsch, rid-etar  –  lächeln;
-ey: Ort: kaval-eyo  –  Pferdestall, vit-eyo  –  Weinberg;
-i: Gebiet, Bereich: duk-io  –  Herzogtum, parok-io  –  Pfarrei;
-id: Abkömmling, Nachkomme: Sem-ido  –  Semite, Ido  –  Abkömmling des Latein und der modernen Kultursprachen;
-ier: Träger: pom-iero  –  Apfelbaum, prokurac-iero  –  Prokurist;
-ig: veranlassen: konoc-igar  –  bekannt machen, dorm-igar  –  einschläfern;
-in: weibliches Geschlecht: frat-ino  –  Schester, kaval-ino  –  Stute;
-ism: Lehre, System: social-ismo  –  Sozialismus;
-ist: System-Anhänger: social-isto  –  Sozialist, Id-isto  –  Idist; Beruf: art-isto  –  Künstler;
-ul: männliches Geschlecht: frat-ulo  –  Bruder, kaval-ulo  –  Hengst;
-ist: Behälter: sal-uyo  –  Salzfass, ink-uyo  –  Tintenfass.

b)  zur Bildung von Zeitwörtern aus Eigenschaftswörtern:

-esk: werden zu: bel-eskar  –  schön werden;
-ig: machen zu: bel-igar  –  verschönen.

c)  zur Bildung von Hauptwörtern aus Eigenschaftswörtern:

-aj: (konkrete) Sache, die die im Stamm ausgedrückte Eigenschaft besitzt: bel-ajo  –  etwas Schönes, mol-ajo  –  Weichteil;
-es: Zustand oder Eigenschaft: bel-eso  –  Schönheit (abstrakt), san-eso  –  Gesundheit.

d)  zur Bildung von Eigenschaftswörtern aus Hauptwörtern:

-al: bezüglich auf, gehörig zu: nacion-ala  –  national, norm-ala  –  regelrecht, rej-ala  –  königlich, (-al ersetzt oft den Genitiv);
-atr: -ähnlich, -artig: sponj-atra  –  schwammig;
-e: Farbe, Aussehen wie: roz-ea  –  rosenfarben, tigr-ea  –  getigert;
-ik: krank an: ftizi-ika  –  schwindsüchtig;
-oz: voll von, reich an, versehen mit: por-oza  –  porös, danjer-oza  –  gefährlich, sabl-oza  –  sandig.

e)  zur Bildung von Eigenschaftswörtern aus Zeitwörtern:

-ebl: passive Möglichkeit (-bar): lekt-ebla  –  lesbar, kred-ebla  –  glaubhaft;
-em: geneigt zu, -lustig: kred-ema  –  leichtgläubig, babil-ema  –  geschwätzig;
-end: passive Notwendigkeit: lekt-enda  –  lesenswert, kred-inda  –  glaubwürdig;
-iv: aktive Möglichkeit, Fähigkeit: instrukt-iva  –  lehrreich, mort-iva  –  sterblich, kondukt-iva  –  leitungsfähig, leitend.

f)  zur Bildung von Hauptwörtern aus Zeitwörtern:

-aj: Sache, an der eine Handlung ausgeführt wird: manj-ajo  –  Speise, karg-ajo  –  Ladung, fotograf-ajo  –  fotografierter Gegenstand;
-ari: Person, an welche eine Handlung gerichtet ist: send-ario  –  Empfänger einer Sendung, legac-ario  –  mit einem Vermächtnis Bedachter, Legatar;
-er: Ausführender einer gewohnten oder Liebhabertätigkeit: fotograf-ero  –  Amateur­fotograf, fum-ero  –  Raucher;
-eri: Anstalt, Einrichtung: imprim-erio  –  Druckerei, fotograf-erio  –  Fotoatelier;
-ey: Ort einer Handlung: dorm-eyo  –  Schlafzimmer, koqu-eyo  –  Küche;
-il: Werkzeug, Mittel: bros-ilo  –  Bürste, fotograf-ilo  –  Fotoapparat;
-ist: Ausführender einer berufsmäßigen Beschäftigung: fotograf-isto  –  Fotograf von Beruf;
-ur: (konkretes) Ergebnis einer Handlung: pikt-uro  –  Gemälde, konstrukt-uro  –  Gebäude, fotograf-uro  –  Fotografie.

g)  zur Bildung von Zeitwörtern aus Hauptwörtern:

-if: hervorbringen, erzeugen: flor-ifar  –  blühen;
-iz: versehen, ausstatten mit: kron-izar  –  krönen, lum-izar  –  beleuchten, sal-izar  –  salzen.

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